Im Gespräch mit Dr. Julia Cloot, Künstlerische Leiterin von „KlangKunst in Industriekultur“
Rauch, Dampf, Hitze, Lärm – unsere Vorstellung von Industriekultur ist eng verknüpft mit diesen Eigenschaften und Elementen. Sie sind Sinnbilder einer Epoche, in der Maschinen das Tempo vorgaben und der Mensch sich inmitten von Stahl und Feuer behaupten musste. Doch was passiert mit Orten der Industrie, wenn die Maschinen verstummen, der Rauch sich verzieht und die Hitze weicht? Wenn die Industrie geht, wird es still. Mit ungewohnten und neuen Tönen macht die Initiative KlangKunst in Industriekultur diese Orte und ihre Geschichten erlebbar. Bereits zum vierten Mal verwandelt die Initiative des Kulturfonds Frankfurt RheinMain in Kooperation mit den „Tagen der Industriekultur Rhein-Main“ ehemalige Industriestätten in Resonanzräume für zeitgenössische Kunst.
In unserem ersten WERKSTATT-Gespräch führt uns die Künstlerische Leiterin der KlangKunst-Reihe, Dr. Julia Cloot, hinter die Kulissen des Projekts. Dem Projektleiter der „Route der Industriekultur Rhein-Main“, Kay-Hermann Hörster, erzählt sie, wie in alten Fabrikhallen moderne Klangkunst entsteht.
Kay-H. Hörster: Liebe Julia Cloot, was Industriekultur ist, davon können sich viele eine Vorstellung machen. Aber was ist eigentlich Klangkunst?
Dr. Julia Cloot: Klangkunst ist eine Gattung, die weder Musik- noch Bildende Kunst ist, sondern genau dazwischenliegt. Das macht sie so interessant. In der Klangkunst gibt es eine ganz große Materialfülle, die für eine Installation genutzt werden kann. Zum Beispiel aufgenommene Geräusche, Videos, Klänge und Texte oder elektroakustische Sounds. Diese unterschiedlichen Materialien sollten möglichst in einer Textur zusammengeführt werden. Es geht also nicht darum, ein Musikstück aufzunehmen und es im Raum abzuspielen, sondern Projekte in den Raum hineinzudenken und damit den Raum zu bearbeiten, so dass er selbst zum Instrument wird. Dazu gehört etwa zu entscheiden, ob etwas in Stereo oder mehrkanalig erklingt. Was hören die Besucher*innen, wenn sie an welcher Stelle stehen? Klangkunst ist eine per se partizipative Gattung, in dem Sinne, dass wir selber entscheiden, wie für uns das Kunstwerk in der Rezeption aussieht und wie lange wir uns ihm widmen. Es gibt auch Arbeiten, die in mehreren Räumen stattfinden. Da ist es immer schön, wenn die sich aufeinander beziehen. In diesem Jahr bespielen wir den Wasserturm in Mülheim, der allerdings zu groß ist, um die Klänge auf allen fünf Etagen miteinander zu vernetzen. Hier beziehen sich die fünf eigenständigen Arbeiten allerdings auf ein gemeinsames Thema, was auch sehr spannend ist.
Kay-H. Hörster: Was macht die Orte der Industriekultur eigentlich so besonders für die Klangkunst und was reizt Dich als Kuratorin an diesen Orten?
Dr. Julia Cloot: Die Orte der Industriekultur sind ja ursprünglich für einen anderen Zweck erbaut worden, als Produktionsstätten, als Wasser-, Heiz- oder Elektrizitätswerke, sie haben einen historischen Kontext, der als Aura in die Gegenwart hineinwirkt.
Kay-H. Hörster: Ich finde es interessant, dass du von den „Orten der Industriekultur“ sprichst. Du könntest ja auch „Industriegeschichte“ sagen, immerhin sind die Orte der KlangKunst in erster Linie historische Stätten. Für das Selbstverständnis der Industriekultur in der Rhein-Main-Region ist es allerdings besonders wichtig, dass der Blick nicht in der historischen Darstellung verharrt. Die zum Teil sehr wechselvolle Geschichte eines Ortes soll auch immer in einen Gegenwartsbezug gesetzt werden können.
Dr. Julia Cloot: Und genau das macht diese Orte besonders attraktiv für eine zeitgenössische künstlerische Perspektive. Idealerweise sollen die Künstler*innen die Geschichte des jeweiligen Ortes in ihren Arbeiten aufgreifen, sodass diese lebendig wird. Das bietet völlig neue Wahrnehmungsmöglichkeiten jenseits des Offenkundigen. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Künstler*innen sich auch der Herausforderung stellen, das klanglich Naheliegende (Wassergeräusche zum Beispiel) eher zu umgehen.
Kay-H. Hörster: Das klingt spannend, aber auch herausfordernd. Wie findest Du diese Orte und gibt es besondere Kriterien, nach denen Du sie auswählst?
Dr. Julia Cloot: Die Industriedenkmäler, die wir für die Klangkunst auswählen, sollten nicht zu abgelegen sein und sich in eher geräuscharmen Umgebungen befinden. Sie dürfen gern historischen Charme besitzen, müssen aber für Besuchende trotzdem verkehrssicher sein. Eine große Herausforderung ist beispielsweise die Geräuschkulisse im Umraum des Objekts, die es im öffentlichen Raum immer gibt. In Innenräumen kann es Geräusche geben, die aus der aktuellen Nutzung resultieren oder die aus der vergangenen Nutzung übriggeblieben sind und die man nicht abstellen kann. Zum Beispiel der Transformator im Wasserwerk in Hattersheim. Das ist ja ein wunderbarer Ort, wenn dort eine Arbeit entstehen soll, muss man allerdings mit dem Geräusch des Transformators arbeiten, wie das 2014 Johannes S. Sistermanns gemacht hat.
Kay-H. Hörster: Du sprichst über die räumlichen Herausforderungen beim Bespielen dieser Orte. Auf der anderen Seite ist das Finden der richtigen Künstler*innen sicherlich nicht leicht. Wie gehst Du vor?
Dr. Julia Cloot: Bei der Auswahl der Künstler*innen oder Kollektive achte ich darauf, eine gute und diverse Mischung zu finden aus überregional und regional verankerten Klangkünstler*innen. Das Genre an sich ist ja per se eine Mischgattung, deswegen können die Mitwirkenden aus ganz unterschiedlichen künstlerischen Kontexten stammen, eher aus der Bildenden Kunst oder aus der Musik zum Beispiel. Das Wichtigste ist allerdings, Künstler*innen zu finden, deren konzeptionelles und technisches Instrumentarium zu dem passt, was die Industriedenkmäler bieten. Gleichzeitig wünsche ich mir von den Menschen, die in dem Genre arbeiten, auch eine große Flexibilität. Für den Wasserturm in Mülheim beispielsweise hätte ich einen Menschen bitten können, etwas für die fünf Ebenen zu schaffen, das miteinander korrespondiert. Wie es Jan St. Werner mit Space Synthesis 2023 in der Kunsthalle Baden-Baden gemacht hat in mehreren klanglich miteinander korrespondierenden großen Räumen. In Mühlheim ist des dem fünfköpfigen Künstler*innen-Kollektiv gelungen, trotz der Höhe der einzelnen Etagen Arbeiten zu schaffen, die wunderbar miteinander korrespondieren. ich hatte die fünf, Juan Bermúdez, Danbi Jeung, Wingel Mendoza, Kyungseo Min und Leon Senger, in einer Ausstellung im Kunsthaus Wiesbaden erlebt und quasi vom Fleck weg engagiert.
Kay-H. Hörster: Die Künstler*innen entwickeln ihre Installationen eigens für das Projekt. Das bedeutet eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ort, die ja durchaus mehrere Schichten umfassen muss. In der Bildenden Kunst entstehen Ideen auch auf dem Papier, etwa durch Skizzen. Die Vorstellung des Klangs lässt sich aber nicht so einfach festhalten. Wie erlebst Du diese künstlerischen Schaffensprozesse?
Dr. Julia Cloot: Das Thema der diesjährigen Tage der Industriekultur lautet ja Schichtwechsel. Zur Klangkunst passt es ideal, weil sich die Arbeit der Künstler*innen immer auf mehreren Ebenen vollzieht. Genauso geht es bei der Wahrnehmung der Installationen darum, Stück für Stück in die einzelnen Schichten der Arbeit vorzudringen. Ganz wichtig sind zunächst Recherchen vor Ort. Diese umfassen das ganze Spektrum von Gesprächen mit Zeitzeug*innen bis hin zu Aufnahmen von Sounds, die eventuell noch in den Produktionsstätten zu hören sind. Natürlich ist das immer spannend für mich zu sehen, wie sich meine Assoziationen bei der Erstbegehung eines Gebäudes mit den Eindrücken der Künstler*innen verbinden, wenn wir die Objekte dann gemeinsam besuchen. Und dann gibt es ja sogar die Möglichkeit, wie wir das beispielsweise 2023 in Rödermark gemacht haben, Interviews mit Zeitzeugen zu führen, die noch aktiv an der ursprünglichen Nutzung des Ortes beteiligt waren und – in diesem Fall - als Arbeiter Telefone zusammengebaut haben. Hier Verknüpfungen mit Sound und visuellen Objekten herzustellen, eröffnet ein riesiges Spektrum.
Kay-H. Hörster: Gibt es einen Ort in der Region, den Du unbedingt einmal zum Klingen bringen würdest?
Dr. Julia Cloot: Oh, da gibt es noch viele Orte. Und meist organisatorische Gründe, warum wir sie noch nicht bespielt haben. Oft liegt es daran, dass Eigentumsverhältnisse oder Zuständigkeiten nicht geklärt sind oder mehrfach gewechselt haben. Oder das Gelände zu unwegsam, zu groß oder zu unübersichtlich ist.
Die diesjährige "KlangKunst in Industriekultur" kann noch bis zum 17. August im Wassertum Mühlheim a. M. und in der WAAS.schen Fabrik in Geisenheim erlebt werden.
© 2025 KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH