Genau 100 Jahre lang wurden in der von Valentin Waas 1864 gegründeten Maschinen-Fabrik in Geisenheim Dörrapparate zur Obst- und Gemüseverwertung, Obst- und Weinpressen sowie Backöfen hergestellt. Nachdem die Produktion 1964 eingestellt wurde, stand die Fabrik zunächst leer und verfiel. Bis sie 2003 von Andrea Nusser zu neuem Leben erweckt wurde. Andrea Nusser ist Lichtdesignerin, Innenarchitektin und Kulturnetzwerkerin und hat das Industriedenkmal in liebevoller Eigenregie saniert und zu einem Kulturzentrum und Unternehmensstandort gemacht. Gemeinsam mit Frau Nusser und Geisenheims Bürgermeister Christian Aßmann dürfen wir einen Blick hinter die Mauern der WAAS.schen-FABRIK werfen.
Im Rahmen der Tage der Industriekultur Rhein-Main wird die WAAS.sche-FABRIK durch KlangKunst in Industriekultur mit allen Sinnen erlebbar gemacht. Klangkünstlerin Antje Vowinckel greift in ihrer Installation „Trockenzeit“ Teile der Produktionsgeschichte auf und verbindet sie mit historischen Grammophon-Aufnahmen.
Die Klanginstallation ist vom 9. bis 17. August täglich von 18 bis 21.30 Uhr zugänglich.
© Fotos: KulturRegion, Alexander Paul Englert; Redaktion: Kristina Maurer; veröffentlicht im Juli 2025
Liebe Frau Nusser, wie sind Sie zur WAAS.schen-FABRIK gekommen und was war Ihre Vision beim Kauf des Gebäudes?
Ich habe schon immer gerne Menschen zusammengebracht und Netzwerke geknüpft. Ich hatte zunächst einige Wohnungen in der ehemaligen Fabrikantenvilla und dann die Idee, auch die alte Fabrik im Hinterhof zu nutzen. Also habe ich das Gebäude Anfang 2003 gekauft. Als ich das Areal übernahm, war es vollgestellt mit altem Schrott, verwildert, teilweise marode. Ich habe entrümpelt, saniert, isoliert und ein Vermarktungskonzept für Ateliers, Wohnräume, Gewerbe und Kultur entwickelt. Ich wollte einen Ort schaffen, der Menschen verbindet und inspiriert.
Welche Unternehmen und Initiativen haben heute ihren Sitz in der Fabrik?
Insgesamt arbeiten hier über 25 Mieter*innen. Das sind unter anderem Marketingagenturen und Architekturbüros, ein Friseursalon und eine Kosmetikerin, eine Coaching-Praxis und eine Wein-Business-Beratung, die Weingüter vermittelt. Außerdem hat die Hochschule Geisenheim hier ein Filmstudio und nutzt Räume für Sitzungen. Die Gründungsfabrik Rheingau war fünf Jahre in der WAAS.schen-FABRIK ansässig. Leider ist eine Förderung ausgelaufen, sodass sie zurück in die Hochschulen umziehen musste. Aber der zugehörige Verein hat weiterhin hier seinen Sitz. Auch der Verein Vision Rheintal e. V., der sich für die Weiterentwicklung des Oberen und Mittleren Rheintals Richtung BUGA einsetzt, sitzt hier. In Zukunft soll im Obergeschoss ein Co-Working-Space entstehen und ich vermiete auch eine Ferienwohnung in der Fabrik.
Was macht diesen Ort für Sie so besonders?
Die Fabrik ist ein lebendiger Ort des Austauschs. Ich habe hier Räume für Kreativität, Kultur, Start-ups und Unternehmen geschaffen, von denen vor allem auch die Menschen in Geisenheim und im Rheingau profitieren. Was früher eine Backofenfabrik war, ist heute ein Ort der Vernetzung und Innovation. Und ein Beispiel für die gelungene Revitalisierung eines Industriedenkmals, ohne Großinvestoren, dafür mit Engagement und Leidenschaft.
Welche Kultur-Veranstaltungen finden aktuell statt?
Ein Highlight ist die monatliche Afterwork-Jamsession mit bis zu 30 Musiker*innen, von Straßenkünstler*innen bis hin zu Profis. Im November haben wir mit über 200 Gästen das zehnjährige Jubiläum der Sessions gefeiert. Wir sind eine der größten Galerien im Rheingau mit aktuell drei Kunstausstellungen. Je nach Künstler*in haben die Ausstellungen unterschiedliche Laufzeiten und sind in der Regel sonntags öffentlich zugänglich.
Ganz besonders freue ich mich auf die Klanginstallation von Antje Vowinckel, die hier im August eingerichtet wird. Ein solches Format haben wir zum ersten Mal vor Ort und ich bin gespannt, wie es die Geschichte der Fabrik und Geräusche der Dörrapparate aufgreift.
Lieber Bürgermeister Aßmann, was bedeutet die Mitgliedschaft in der KulturRegion für Geisenheim?
In den letzten Jahren haben wir für Geisenheim in einem längeren Prozess drei Schwerpunkte für die Stadtidentität entwickelt: Bildung, Kultur und Wein. Wir wollen Menschen nicht nur als Weinregion ansprechen, sondern auch über Bildung und kulturelle Angebote, die elementarer Bestandteil für das Lebensgefühl in unserer Stadt sind. Daher ist die Mitgliedschaft in der KulturRegion für uns ein großer Gewinn. Wir profitieren vor allem im Bereich der Veranstaltungen von besonderen Kulturformaten. Den größten Mehrwert bietet das starke Netzwerk: Der Austausch mit unterschiedlichsten Akteur*innen bringt neue Impulse, Ideen und Perspektiven, was gerade für eine kleinere Kommune wie unsere enorm hilfreich ist. So entstehen Kooperationen, die unsere Kulturarbeit vor Ort spürbar bereichern und auch neue Akteur*innen anziehen.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die WAAS.sche-FABRIK für Geisenheim?
Die WAAS.sche-FABRIK ist ein architektonisch beeindruckendes Gebäude, das seinen industriellen Charakter aus früheren Zeiten nie verloren hat und verbindet diesen Industrie-Charme heute mit Kunst, Musik und kreativem Leben. Durch die Kombination mit dem angesiedelten Gewerbe ist die WAAS.sche-FABRIK ein Paradebeispiel für die Vernetzung verschiedener Branchen, die in einer Stadt bestehen und hier in Einklang gebracht werden.
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