In Miltenberg sollte man keinesfalls versäumen, das preisgekrönte Museum Stadt Miltenberg zu besichtigen. Gern lassen sich Besucher*innen verzaubern vom Charme der über 400 Jahre alten Fachwerkhäuser mit der Dauerausstellung, die alles über die Geschichte der Stadt und der Region verrät: Leben und Arbeiten der Miltenberger seit dem 16. Jahrhundert, Schwerpunktsammlungen wie Judaica, Jagdwaffen, Glas, Keramik, Spielzeug.
Miltenberg im Jahr 1523: Wie überall in Mitteleuropa ist das Christentum die alles umfassende Weltanschauung. Es gibt den Menschen Halt und bestimmt den Rhythmus des Lebens. Gleichzeitig sehnen sich einige nach religiöser Wahrhaftigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Dies ist der Grund, warum die Reformation Martin Luthers sich rasant in Deutschland verbreitet.
In Miltenberg unternehmen die Menschen damals einen Versuch, sich der Landesherrlichkeit und den Kirchenoberen zu widersetzen. Sie wollen ihren Glauben frei wählen und sich der Lehre Luthers anschließen. Wortführer sind der damalige Amtskeller Friedrich Weygandt und der von ihm berufene Pfarrer Johannes Drach, sein Vetter.
Amtssitz von Weygandt ist das heutige Museum. Die Dimensionen des Gebäudes und reichhaltige Verzierungen lassen auf Macht und Reichtum Miltenbergs zu Beginn des 16. Jahrhunderts schließen. Heute erinnert das Museum in Miltenberg an den Reformationsversuch und seine Protagonisten, der als Ausdruck des Freiheitsdranges gedeutet werden kann.
Dies war nicht immer so: Da die Geschichte meist von den Siegern geschrieben wird, geriet der Reformationsversuch schon kurz nach den Ereignissen in Vergessenheit. Erst im Jubiläumsjahr der Reformation 2017 sorgten Vorträge und ein Buch dafür, dass die besondere Geschichte Miltenbergs in der Reformationszeit wiederentdeckt wurde.
Reformationsversuch in Miltenberg 1523
1515 wurde Friedrich Weygandt Amtskeller (= Amtmann oder Lokalverwalter) in Miltenberg. Schon bald setzte er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für religiöse und soziale Reformen ein. Ein großer Erfolg war die Gründung einer eigenständigen Pfarrei in Miltenberg 1522, das damit von der Pfarrei Bürgstadt unabhängig wurde. Die Besetzung der Pfarrstelle wurde sofort ein Politikum: Die Miltenberger, mit Weygandt an ihrer Spitze, beriefen einen Anhänger der Reformation, nämlich den Luther-Schüler Johannes Drach.
Drach machte seinem Lehrer alle Ehre. Es gelang ihm, in wenigen Monaten die Miltenberger Bürger und den Rat von seinem neuen Glaubensverständnis zu überzeugen. Damit sprachen sich Drach und die Miltenberger gegen bestehende liturgische Vorgaben und religiöse Pflichten aus. So kam es, dass Drach von Vertretern des Mainzer Erzbischofs, Albrecht von Brandenburg, wegen der Verbreitung der lutherischen Schriften und Lehre angeklagt und vorgeladen wurde.
Mit Hilfe des Rates gelang es ihm mehrfach, die Vorladungen zu umgehen und eine Verurteilung bis zum September 1523 hinauszuzögern. Obwohl er nun exkommuniziert wurde, blieb Drach zunächst Pfarrer in Miltenberg. Jedoch ging der Erzbischof militärisch gegen die aufmüpfige Gemeinde vor. Als die Truppen kurz davorstanden, Miltenberg einzunehmen, floh Drach. Dennoch gab Drach nicht auf. In mehreren Trostbriefen rief er die Bürger zum Festhalten an der Reformation auf. Er bewegte sogar Luther selbst dazu, sich mit einem Trostbrief an die Miltenberger zu wenden. Dieser Brief wurde noch im gleichen Jahr gedruckt und als Flugschrift verbreitet. Er wird heute im Museum aufbewahrt.
Nach der Einnahme der Stadt wurden führende Mitglieder des Rates und andere Sympathisanten der lutherischen Glaubensauslegung auf der Mildenburg eingekerkert. Der Erzbischof zwang die Bürger von der lutherischen Lehre abzuschwören. Auch verloren sie das Recht, ihren Pfarrer zu wählen. Damit war der Reformationsversuch gescheitert.
Immerhin konnte sich Friedrich Weygandt zunächst halten. Er wurde wieder als Amtskeller von Miltenberg eingesetzt. Weygandt machte weiter ‚große Politik‘ und setzte sich für soziale, religiöse und politische Veränderungen ein. Er forderte eine Reichsreform und verknüpfte diese mit den Ideen der Reformation. Im Bauernaufstand von 1525 führte er Miltenberg an die Seite der Aufständischen. Dieses Engagement kosteten ihn allerdings das Leben: Zur Strafe wurde er im Alter von ca. 52 Jahren auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.
1523 befand sich Miltenberg für einen kurzen Moment im Zentrum der reformatorischen Auseinandersetzung. Miltenberg war die erste Stadt außerhalb Sachsens, die sich auf den reformatorischen Weg einließ. Ohne die militärische Intervention aus Mainz wäre hier eine der ersten lutherischen Gemeinden entstanden.
Die Miltenberger kämpften damals für einen eigenständigen Weg. Es versteht sich von selbst, dass das Verständnis von Freiheit im 16. Jahrhundert ein anderes war als das unserige. Glaubensfreiheit war damals keine private Angelegenheit, sondern wurde kollektiv gedacht. Nicht der Einzelne sollte seinen eigenen Weg zum Glauben finden. Doch die Entscheidung der Gemeinde Miltenberg für einen anderen Glaubensweg bedeutete den Bruch mit Traditionen und war eine Auflehnung gegen die bestehende Herrschafts- und Sozialstruktur – mit erheblichen Risiken. Die gescheiterte Reformation in Miltenberg war Ausdruck des Freiheitsdranges der Menschen in ihrer Zeit.
Texte und Abbildungen: Dominik Schäfer
Hauptstraße 169
63897 Miltenberg
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