80 Jahre Kriegsende: Demokratischer Neubeginn 1945 in Rhein-Main

© StadtA WI F000 Nr. 14370, Foto: Hans Espert

Kommunen sind das Fundament des demokratischen Staatsaufbaus. Die nationalsozialistische Herrschaft höhlte ihre Selbstverwaltung ab 1933 aus und löste sie schließlich ganz auf. Unmittelbar nach Kriegsende 1945 begannen die alliierten Besatzungsmächte mit dem Wiederaufbau der kommunalen Verwaltungen. Städte, Gemeinden und Kreise erhielten eine Schlüsselrolle bei der Demokratisierung des politischen Lebens in Deutschland. Die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen, Kriegsschäden und insbesondere der Mangel an Wohnraum und Lebensmitteln waren die drängendsten Probleme. Gleichzeitig wurden in Hessen städtische Betreuungsstellen für politisch, rassisch und religiös Verfolgte geschaffen, die die Opfer des NS-Regimes versorgten. Eine erste Auseinandersetzung mit den in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen begann.

Rückblick Symposium
„80 Jahre Kriegsende: Demokratischer Neubeginn 1945 in Rhein-Main“

Anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung durch die Alliierten widmete sich das Symposium der Frage, wie der Wiederaufbau der lokalen Demokratie ab 1945 in der Rhein-Main-Region gestaltet wurde.

Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Stadtarchiv Wiesbaden und dem Projekt „Geist der Freiheit“ der KulturRegion FrankfurtRheinMain organisiert – in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Volkshochschule Wiesbaden.

📸 Impressionen zum Symposium 📸

Das Kriegsende hatte viele Gesichter: Symposium im Kulturforum Wiesbaden zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf
 
Anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes luden Stadtarchiv Wiesbaden und KulturRegion FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Volkshochschule Wiesbaden zum Symposium „80 Jahre Kriegsende: Demokratischer Neubeginn in Rhein-Main“ in Wiesbadener Kulturforum. Referentinnen und Referenten aus der Region stellten ihre Erkenntnisse zum Kriegsende in Groß-, Mittel- und Kleinstädten des Rhein-Main-Gebietes vor. Kulturdezernent Dr. Hendrik Schmehl wies in seiner Begrüßung auf den Umgang der Wiesbadenerinnen und Wiesbadener mit der Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes hin. In Wiesbaden, wie in vielen anderen Kommunen im Rhein-Main-Gebiet waren die Oberbürgermeister schnell als die Haupttäter identifiziert. Wurden sie im Zuge der Entnazifizierungsverfahren in eine der niedrigeren Gruppen eingestuft, war der Unmut in der Bevölkerung durchaus groß über die Entscheidung der Spruchkammer. Dr. Schmehl stellte heraus, dass es doch von erstaunlichem Selbstbewusstsein zeuge, wenn der letzte NS-Bürgermeister Felix Piékarski nach der Flucht vor der US-Armee bei seiner Ankunft in der besetzten Stadt im Juni 1945 sofort im Rathaus vorsprach.
 
Den Tag eröffnete Dr. Peter Quadflieg mit einem Impulsvortrag zu den Vorgängen der letzten Kriegswochen in Wiesbaden. Anschließend beleuchtete Professor Frank Jacob das Kriegsende in Aschaffenburg. Weiter ging es mit dem Vortrag von Dr. Sandra Zimmermann, die auf die letzten Kriegstage und die erste Zeit der Besatzung in Darmstadt blickte. Komplettiert wurde das erste Panel durch die Schilderungen von Sylvia Goldhammer zum Kriegsende in Oberursel. Eines arbeiteten die Referenten schon jetzt heraus, was in den weiteren Panels bestätigt wurde. Die Erinnerungen an das Kriegsende konzentrieren sich sowohl in Aschaffenburg als auch in Darmstadt auf die Zerstörung der Städte. Kaum bis gar nicht werde die Gewalterfahrung im Krieg thematisiert. Dafür erinnere man sich gern an die Kameradschaft in der Truppe.
 
Der zweite thematische Schwerpunkt des Tages warf einen Blick auf den Aufbau staatlicher und demokratischer Strukturen. Gregor Maier stellte die Entwicklungen im Hochtaunuskreis vor. Er thematisierte unter anderem die Herausforderungen der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in kleinen Kommunen und Dörfern. Dr. Thomas Bauer lud anschließend zur Betrachtung des Aufbaus staatlicher Strukturen in Frankfurt am Main. Als Sinnbild schilderte er die Diskussionen um den Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche. Wie Grgeor Maier warf auch Dr. Bauer einen Blick auf die ersten Wahlen und die Debatten im ersten Stadtparlament.
 
Den dritten thematischen Schwerpunkt leitete die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt, Dr. Ina Hartwig, ein. Sie rief dazu auf, dass Demokratie heute gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden könne. „In Stadtparlamenten wird Demokratie gelebt“, sagt Dr. Hartwig und weist damit auf die Bedeutung von Kommunen als Säulen der demokratischen Gesellschaft hin. Anschließend fragte Dr. Bernd Blisch nach der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Flörsheim anhand des „Flörsheimer Kristallnachts-Prozesses“ 1949. An seinen Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Insbesondere beeindruckt hatte die Einschätzung, dass die Entscheidung des Gerichts, den Prozess vor Ort durchzuführen zu den milden Urteilen geführt habe.
 
Das Programm schloss eine Podiumsdiskussion zu historischen Vermittlungsprojekten ab. Unter anderem stellte Lisa Sommer vom sam – Stadtmuseum am Markt die von Schülerinnen der Wiesbadener Martin-Niemöller-Schule erarbeitete Ausstellung zum Kriegsende in Wiesbaden vor. Thomas Altmeyer umriss die Genese des Geschichtsortes Adlerwerke in Frankfurt am Main und berichtete aus der Praxis bei der Konzeption des kommunenübergreifenden Projektes zu den Todesmärschen der Häftlinge des KZ Katzbach. Auch Dr. Markus Häfner, Hanau, und Margit Sachse, Darmstadt/Evreux, präsentierten großangelegte Projekte zum Kriegsende. Beide arbeiteten die Bedeutung von digitalen Möglichkeiten in der Vermittlungsarbeit heraus. Kulturdezernent Dr. Schmehl fasst den Tag zusammen: „Das Symposium hat gezeigt, dass die Ereignisse, die in den vorgestellten Kommunen zum Kriegsende erinnert werden, durchaus verschieden sind. Daraus lässt sich ableiten, dass es im Rhein-Main-Gebiet kein einheitliches Kriegsende gab. Gleichzeitig prägen Erlebnisse wie die Bombardierung der Städte das kollektive Gedächtnis. In allen Kommunen ließen sich personelle Kontinuitäten in den Verwaltungen nach 1945 feststellen. An einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bestand nirgendwo Interesse. Ebenso wenig wurde über Gewalterfahrungen an der Front oder in den Kriegsgefangenlagern der Alliierten gesprochen.“ Weiter sagt Dr. Schmehl: „80 Jahre Kriegsende muss Anlass für uns sein, uns kritisch mit der Geschichte auseinanderzusetzen und die Erzählungen der Groß- und Urgroßeltern zu dekonstruieren. Demokratie musste nach 1945 erkämpft und dann gefestigt werden. Eine Stunde Null gab es nicht.“

Hier finden Sie das Programm als PDF-Datei zum Download.

9.30 Uhr | Grußworte
- Dr. Hendrik Schmehl (Kulturdezernent, Landeshauptstadt Wiesbaden)
- Dr. Jennifer John (Geschäftsführerin, KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH)
- Felix Münch (Ständiger Vertreter der Direktorin der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung)

10.00 Uhr | Impuls: Das Kriegsende deuten
Eroberung - Befreiung - und nun? Die historiographische Bedeutung des Kriegsendes nach 1945 am Beispiel Wiesbadens
Dr. Peter Quadflieg (Stadtarchiv Wiesbaden) 
Wie wurde das Kriegsende in Wiesbaden direkt nach 1945 gedeutet? Der Impulsvortrag blickt auf eine wechselnde historische Einordnung.

10.30 Uhr | Kaffeepause und Austausch

11.00 - 12.30 Uhr | Vormittagspanel: Das Kriegsende vor Ort – Lokale Perspektiven
Jeder Vortrag inklusive 10 Minuten Diskussion

11.00 - 11.30 Uhr: Aschaffenburg 1945: Zäsur oder Neubeginn?
Prof. Frank Jacob (Nord Universitet, Norwegen)
War das Kriegsende 1945 in Aschaffenburg eine klare Zäsur oder eher ein fließender Übergang? Eine Analyse von Kontinuitäten und Brüchen.

11.30 - 12.00 Uhr: Das Kriegsende 1945 in Darmstadt
Dr. Sandra Zimmermann (Stadtarchiv Darmstadt)
Der Beitrag beleuchtet im Detail das Kriegsende vor 80 Jahren in Darmstadt.

12.00 - 12.30 Uhr: Oberursel 1945/46: Camp King, Eugen Kogon und der Oberurseler Kreis
Sylvia Goldhammer (Stadtarchiv Oberursel)
Gegenstand des Beitrags ist der demokratische Neubeginn in Oberursel.

12.30 Uhr | Mittagspause

13.15 - 14.15 Uhr | Nachmittagspanel I: Aufbaujahre – Demokratie nimmt Gestalt an
Jeder Vortrag inklusive 10 Minuten Diskussion

13.15 - 13.45 Uhr: Demokratischer Neuanfang im Landkreis Usingen - ein Werkstattbericht
Gregor Maier (Kreisarchiv Hochtaunuskreis)
Wie gestaltete sich der Aufbau demokratischer Strukturen auf dem Land? Der Werkstattbericht gibt Einblick in die Arbeit des Kreisarchivs.

13.45 -14.15 Uhr: „Für alle, die guten Willens sind“. Walter Kolb und der demokratische Neubeginn in Frankfurt am Main
Dr. Thomas Bauer (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main)
Walter Kolb prägte als Oberbürgermeister den Wiederaufbau Frankfurts. Der Vortrag analysiert Kolbs Wirken für einen demokratischen Neubeginn in der Mainmetropole.

14.15 Uhr | Kaffeepause und Austausch

14.45 - 15.45 Uhr | Nachmittagspanel II: Bewährungsproben – Wahlen und Aufarbeitung
Jeder Vortrag inklusive 10 Minuten Diskussion

14.45 – 15.15 Uhr: Neubeginn oder Rückbesinnung? Die Kommunalwahlen von 1946 im Rheingau
Oliver Mathias (Rüdesheim am Rhein)
Die ersten freien Wahlen nach dem Krieg waren eine wichtige Wegmarke. Im Zentrum steht die Frage, wie die Kommunalwahlen von 1946 im Rheingau im Spannungsfeld zwischen Neubeginn oder der Rückbesinnung auf alte Muster zu berwerten sind.

15.15 – 15.45 Uhr: Juristische Aufarbeitung der Naziverbrechen in einer Kleinstadt. Der sogenannte „Flörsheimer Kristallnacht-Prozess“ 1949
Dr. Bernd Blisch (Stadt Flörsheim)
Wie ging die junge Demokratie mit NS-Verbrechen um? Der Beitrag analysiert am Beispiel des „Flörsheimer Kristallnacht-Prozesses“ die Herausforderungen der juristischen Aufarbeitung in einer Kleinstadt.

15.45 Uhr | Kurze Pause

16.00 Uhr | Round Table: 80 Jahre danach – Erinnern für die Zukunft
Das Kriegsende als Mythos oder Verpflichtung? Wie über Verantwortung sprechen.
Mit: Lisa Sommer (Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden), Margit Sachse (Lichtenbergschule Darmstadt, z.Zt. Evreux), Thomas Altmeyer (Geschichtsort Adlerwerke Frankfurt am Main), Dr. Markus Häfner (Städtische Museen Hanau), Moderation Kay-Hermann Hörster (KulturRegion FrankfurtRheinMain)

17.15 Uhr | Abschlussdiskussion und Ausblick

17.30 Uhr | Ende der Veranstaltung

(Alphabetisch geordnet)

Thomas Altmeyer

Dr. Thomas Bauer

Dr. Bernd Blisch

Sylvia Goldhammer

Dr. Markus Häfner

Kay-Hermann Hörster

Prof. Dr. Frank Jacob

Dr. Jennifer John

Dr. Katherine Lukat

Gregor Maier

Oliver Mathias

Felix Münch

Dr. Peter Quadflieg

Margit Sachse

Dr. Hendrik Schmehl

Lisa Sommer

Dr. Sandra Zimmermann

Magdalena Zeller

Impressionen zum Symposium

© Alexander Paul Englert

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Weitere Veranstaltungen und Informationen zu 80 Jahre Kriegsende