Rüsselsheim, da denken viele zuerst an Opel. Wer sich allerdings auf den Weg macht, trifft jenseits der alten Industriehochburg auf eine lebendige und moderne Kulturstadt. Gemeinsam mit Bürgermeister Dennis Grieser und dem Grafikdesigner und Illustrator Bengt Fosshag erkunden wir deren Lieblingsort in Rüsselsheim: Die eindrucksvolle Festung am Mainufer mit dem Stadt- und Industriemuseum ist ein Ort von lebendiger Geschichte und kreativer Prozesse und zugleich siebte Station auf unserer Reise zu Lieblingsorten und Persönlichkeiten in der KulturRegion. Bengt Fosshag zeigt uns dabei seine Sicht als Künstler. Seine Illustrationen sind weitbekannt. Der von ihm in den achtziger Jahren entworfene rosarote Elefant der Deutschen Bahn und der sympathische grüne Frosch für einen gleichnamigen Haushaltsmittelhersteller haben ihn berühmt gemacht.
Lieber Bürgermeister Grieser, was macht diesen Ort besonders?
Das Kulturangebot in Rüsselsheim fängt schon bei den Kleinsten an. Es ist inklusiv und bunt und versucht, immer wieder aktuelle Themen aufzugreifen, die uns alle bewegen. Das kann man hier im Stadt- und Industriemuseum wunderbar erleben. Es ist bekannt für seine „Mitmachangebote“ und seine „Mitmachausstellungen“ und steht seit Jahren für eine inklusive Kulturarbeit, die sich besonders auch an Menschen mit kognitiven Einschränkungen richtet. Momentan sind hier im Festungshof kleine Windkunstwerke installiert. Jugendliche aus den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. haben sie in einem künstlerischen Workshop zum Thema regenerative Energien geschaffen. In der kreativen Arbeit lernten die Jugendlichen die Kraft von Wasser, Wind und Sonne kennen und gestalteten diese Objekte. Dabei wirft zugleich die nächste Mitmachausstellung zum Thema „Klimaschützer“ ihren Schatten voraus.
Für mich ist das Besondere an diesem Ort seine Offenheit. Er ermöglicht Begegnungen: mit der eigenen Kreativität und den eigenen Fähigkeiten, mit dem kulturellen Erbe dieser Stadt, mit künstlerischen Positionen und vor allem mit anderen Menschen. Die Festung und das Museum bündeln unfassbar viele Angebote. Hier hat die Dorflinde mit ihren tollen Jazz- und Folk-Konzerten ihr Domizil, der Kunstverein nutzt mehrmals im Jahr die Räumlichkeiten für seine Ausstellungen und Lesungen. Die Kunstreihe „Illust_ratio“ zur illustrativen Kunst wird hier gezeigt und ist ein kulturelles Highlight im Kulturkalender von Rhein und Main. Die hat uns übrigens Bengt Fosshag beschert, der uns bei diesem Gespräch zur Seite steht. Eine Adresse ist die Festung auch zum Kunsthandwerkermarkt, der jährlich am letzten Wochenende im November stattfindet. Die Festungsanlage ist auch eine großartige historische Anlage im Grünen und es macht Spaß, hier einfach herumzustromern und über Wälle und Graben zu spazieren. Die Opel-Villen mit ihrem renommierten Ausstellungsprogramm sind nur einen Steinwurf entfernt. Auch sie setzen einen Schwerpunkt in der Kunstvermittlung – schon für ein ganz junges Publikum. Sie sehen: Der Fokus auf kulturelle Bildung ist ein Markenzeichen unserer Kulturstätten.
Herr Fosshag, Sie bringen Kunst in die Festung. Welche Bedeutung hat dieser Ort für Sie?
Mein Großvater, der Heimatforscher Adam Fosshag, hat die alte Sammlung des Heimatvereins betreut, lange bevor hier das Museum entstand. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine wunderbare intarsierte und sehr schwere Armbrust, die ich als kleiner Junge unbedingt einmal in den Händen halten wollte. Was mich heute an diesem Ort besonders beeindruckt, ist das Engagement der Menschen in Rüsselsheim, die „Bürgerstiftung Festung“, die hier Bedeutendes bewegt hat. Aber auch der Kunstverein, in dem ich mich gerne engagiere und der hier im Museum immer wieder einen wunderbaren Ausstellungsraum findet.
Der Ort ist durch die Ausstellungsreihe „illust_ratio“ eng mit meiner Arbeit als Illustrator verbunden, auch wenn ich lange Jahre in Frankfurt gearbeitet habe. In den 1980er Jahren habe ich den rosaroten Elefanten für die Deutsche Bahn entwickelt und später den kleinen grünen Frosch für das gleichnamige Haushaltsmittel, den es bis heute gibt. Illustrationen für Bücher und die großen Tageszeitungen wie die F.A.Z. haben mir immer besonderen Spaß gemacht. Für die Dauerausstellung im Museum habe ich die Bildsprache von historischen Stichen in die Moderne übersetzt, das war eine tolle Arbeit, mit der ich mich gerne beschäftigt habe. Vergangene Geschichte in eine moderne Bildsprache zu bringen, ist etwas sehr Schönes. Ein besonderes Kunstprojekt mit dem Titel „Stuhlbesetzung“ habe ich zum Hessentag 2017 verwirklicht. Da waren Liegestühle mit Tierillustrationen bedruckt und im Festungshof in einem großen Kreis aufgestellt. Hier konnten die müden Hessentagsbesucher Platz nehmen, auch wenn die Stühle scheinbar schon von den gefährlich aussehenden Viechern besetzt waren.
Schon während unseres Rundgangs haben wir viel über die Dynamik dieses Ortes gesprochen. Aber ganz konkret, Herr Bürgermeister Grieser, was können die Menschen hier erleben?
Ganz kurz gesagt: Ein Kulturdenkmal, das zu buntem Leben erweckt wurde. Die Festung hat Ihre kriegerische Vergangenheit weit hinter sich gelassen. Im friedlichen Miteinander begegnen sich hier Junge und Alte, Einheimische und Gäste. Städte wie Rüsselsheim, die mitten in einem – zum Teil auch schmerzhaften – Strukturwandel stecken brauchen diese Orte ganz besonders: für die Selbstvergewisserung, für den Diskurs über eine gemeinsame, nachhaltige, friedliche Zukunft und die aktive Teilhabe am politischen und kulturellen Geschehen.
Die Mitmachausstellung „Wer rennt, wenn’s brennt?!“ ist wie so viele Projekte des Museums in enger Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren entstanden. In diesem Fall waren es die Feuerwehren, die mit den Museumsmitarbeiter*innen die Ausstellung gemeinsam entwickelt haben. Und da können Sie nicht nur ganz viel über die Natur des Feuers lernen, sondern sich auch praktisch den Aufgaben der Feuerwehr stellen, ganz viel ausprobieren und sogar selbst einen Feuerlöscher bauen. Wir unterstützen die Besuche der Rüsselsheimer Grundschulen im Museum und in den anderen kulturellen Einrichtungen mit einem eigenen Budget. Und das Angebot wird von den Schulklassen begeistert aufgegriffen. Die Zusammenarbeit des Museums mit ganz verschiedenen Vereinen, Verbänden, städtischen Institutionen funktioniert in Rüsselsheim mit einer großen Selbstverständlichkeit. Und im vorliegenden Fall war es sogar die Feuerwehr, die mit dem Wunsch nach solch einer Ausstellung auf das Museum zukam, um das Publikum auf sich und die Möglichkeiten aktiv zu werden, aufmerksam zu machen.
Was bedeutet für Sie die Mitgliedschaft Rüsselsheims in der KulturRegion?
Die Kulturlandschaft im Rhein-Main-Gebiet ist unendlich reich. Wir hier in Rüsselsheim haben bei der Entwicklung der KulturRegion Impulse gegeben und genauso von den Ideen der kulturellen Träger in den Schwesterstädten oder der Programmplaner*innen in der Geschäftsstelle der KulturRegion profitiert. Die Idee für die „Route der Industriekultur RheinMain“ ging von Rüsselsheim aus und wir sind mit dem Opelwerk und unserem Museum natürlich ein wichtiger Ankerpunkt der Route. Auf der anderen Seite waren wir sehr glücklich, dass mit dem Projekt „GartenRheinMain“ auch eine Plattform geschaffen worden ist, um unseren wunderschönen spätromantischen Verna-Park in der Region bekannt zu machen. Ebenso geht es uns mit den anderen Programmschwerpunkten. Das Theater beteiligt sich immer an den „Starken Stücken“ – kulturelle Bildung ist mir – ich sagte es schon – ein Herzensanliegen. Demokratie braucht den Diskurs über ihre Wurzeln – den bietet das Projekt „Geist der Freiheit – Freiheit des Geistes“. Zu allen Programmschwerpunkten können wir beitragen und profitieren von den Impulsen. So ist die KulturRegion eine Plattform, auf der wir uns im Konzert der vielen Anbieter*innen präsentieren können, und zugleich ein wertvolles Netzwerk für den professionellen Austausch derer, die in unseren Städten für die Kulturarbeit zuständig sind. Damit hat sie alle Erwartungen erfüllt, die wir bei der Gründung in sie gesetzt haben.
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