Kreativzentrum Walkmühle in der hessischen Landeshauptstadt – Persönlichkeiten und Lieblingsorte in der KulturRegion

© Alexander Paul Englert

Nach dem Beitritt Wiesbadens zur KulturRegion wollen wir es uns nicht nehmen lassen, direkt die vielfältige Wiesbadener Kulturszene zu erkunden. Deshalb haben wir uns für Station zehn auf unserer Reise zu besonderen Orten und Persönlichkeiten in der KulturRegion zu einem außergewöhnlichen Ort in der Landeshauptstadt aufgemacht – zur Walkmühle in Wiesbaden. Das Industriedenkmal wurde vor fast 300 Jahren errichtet und blickt auf eine vielfältige Nutzungsgeschichte zurück. Das Ensemble beherbergte unter anderem bereits eine Mühle, Gerberei, Brauerei und Textilreinigung. Vor der Backsteinkulisse, die in den letzten sieben Jahren aufwendig saniert wurde, treffen wir Christiane Erdmann und Wulf Winckelmann. Die beiden Künstler*innen haben zusammen mit vielen Mitstreitern des vor Ort ansässigen Künstlervereins viel Herzblut in die Walkmühle gesteckt, um sie zu dem zu machen, was sie heute ist: ein Ort für Kunstschaffende und Kulturliebhaber*innen. Außerdem erfahren wir von Stadtrat Axel Imholz, warum in Wiesbaden der Entschluss zur Mitgliedschaft in der KulturRegion gefallen ist.

© Fotos: KulturRegion; Alexander Paul Englert; Redaktion: Kristina Maurer

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Christiane Erdmann, Axel Imholz und Wulf Winckelmann im Atelier
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Christiane Erdmann in ihrem Atelier
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Wulf Winckelmann in seinem Atelier
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Axel Imholz, Christiane Erdmann und Wulf Winckelmann in der Ausstellungshalle

Das Gelände hat in der Tat eine lange bauliche Tradition und ist immer weiter gewachsen. Erstmals wurde 1730 eine Wassermühle dort gebaut. Über die Jahrhunderte hinweg hatte das Ensemble eine sehr durchmischte Nutzung, z. B. als Brauerei oder chemische Reinigung. 2003 ist dann der Künstlerverein Walkmühle auf das in Teilen brachliegende Areal gekommen und hat damit begonnen, nicht nur Ateliers für Künstlerinnen und Künstler herzurichten, sondern den Ort auch für die Ausrichtung von Kulturveranstaltungen für ein breites Publikum zu nutzen. Von städtischer Seite war das wohl zuerst als temporäre Zwischennutzung gedacht, aber wir hatten von Anfang an die Ambition, den Ort für die Stadtgesellschaft dauerhaft zu öffnen und hierfür den Gebäudekomplex zu sanieren. Unsere erste Schwerpunktausstellung veranstalteten wir zum Thema „Stühle“. Als „Eintritt“ haben alle Gäste einen Stuhl mitgebracht, den sie nicht mehr brauchten. So kamen 138 Stühle zusammen, die wir natürlich dann zur Bestuhlung kommender Veranstaltungen nutzen konnten.

In den Folgejahren konnten wir unser Veranstaltungsprogramm weiterentwickeln und die Walkmühle dadurch zu einem festen Punkt auf der Landkarte der Kulturinstitutionen des Rhein-Main-Gebiets machen. 2004 erhielt der Künstlerverein hierfür den Kulturpreis der Stadt Wiesbaden. Gleichzeitig kämpften wir jahrelang bei den politischen Entscheidungsträgern dafür, dass der in städtischem Besitz befindliche Gebäudekomplex saniert und der Walkmühle eine dauerhafte Perspektive der kulturellen Nutzung gegeben wird. Nach einem langen und herausfordernden Weg wurden 2015 schließlich die entsprechenden politischen Beschlüsse gefasst. Es begann – im laufenden Kulturbetrieb – eine siebenjährige Phase der baulichen Sanierung des unter Ensembleschutz stehenden Gebäudekomplexes, die 2022 schließlich abgeschlossen werden konnte.

Das Besondere an der Walkmühle ist, dass sie ein von den Kulturschaffenden selbst geschaffener und damit aus der künstlerischen Basis heraus gewachsener Ort ist, der gleichzeitig ein öffentliches kulturelles Veranstaltungszentrum und Ateliers für Künstlerinnen und Künstler unter einem Dach vereint. Wir haben hier acht Ateliers, darunter auch Gemeinschaftsateliers, in denen 13 Künstlerinnen und Künstler arbeiten.

Gleichzeitig sind in der Walkmühle auch noch zahlreiche Gewerbetreibende aus der Kreativbranche angesiedelt. Auf diese Weise wird die Walkmühle von drei Säulen getragen, die sich synergetisch ergänzen. Das macht sie zu einem kreativen, nach außen hin offenen und lebendigen Zentrum, das sich immer weiterentwickelt und in dem sehr viel Austausch stattfindet. Menschen, die von außen hierherkommen, bewundern immer wieder die offene, familiäre und herzliche Atmosphäre. Es findet gegenseitige Inspiration statt und gemeinsam werden interdisziplinäre Projekte und Ideen verwirklicht. Eine solche kreativ-synergetische Kombination unter einem Dach findet sich selten und macht den Ort zu etwas Besonderem in der Rhein-Main-Region.

Kern unseres kulturellen Veranstaltungsprogramms ist die Ausrichtung von Gruppenausstellungen zu Themen, die oft einen aktuellen und gesellschaftlich relevanten Bezug aufweisen. In der Vergangenheit waren dies z.B. die Themen Flucht, Heimat, Körperkult, Spielen, Generationenkonflikt oder Natur und Umweltschutz. Im Jahr richten wir meist zwei dieser großen Schwerpunktausstellungen aus, die jeweils ca. 3 Monate dauern. Hinzu kommen mehrere kleinere Ausstellungen und andere Veranstaltungsformate wie etwa unser monatlich stattfindender Salon. Im Frühjahr 2023 wird es eine Ausstellung mit dem Titel „Angst – Krisenindikator oder Überlebenstrieb?“ geben; ein Thema, das in vielerlei Hinsicht von hoher Aktualität ist. Im Herbst widmet sich eine weitere Ausstellung dann dem Schwerpunkt „Energie“.

Spannend an diesen Gruppenausstellungen sind die sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf ein gleiches Thema. Denn an Ihnen nehmen parallel einerseits sehr renommierte und noch gänzlich unbekannte Künstlerinnen und Künstler teil. So findet sich dann z. B. eine Arbeit des US-amerikanischen Videokünstlers Bill Viola neben dem Werk einer Künstlerin wieder, die sich vielleicht noch mitten in ihrem Akademiestudium befindet. Dabei entstehen sehr spannende Bezüge und thematische Relationen.

Flankiert werden diese Schwerpunktausstellungen meist durch ein interdisziplinäres Begleitprogramm. Das können etwa Lesungen, Vorträge, Filmabende, Theateraufführungen oder Konzerte mit Bezug zum jeweiligen Thema sein. Obwohl unser Veranstaltungschwerpunkt auf der bildenden Kunst liegt, ziehen wir auf diese Weise nicht nur klassisches Vernissage-Publikum an, sondern auch Menschen, die vielleicht sonst nur ins Kino oder zu Lesungen gehen. Durch die große Aktualität und gesellschaftliche Relevanz unserer Themen kommt zudem ein sehr durchmischtes Publikum hierher. Oft eben auch Menschen, die sonst eher nicht in Kultureinrichtungen gehen. Weiterhin verfolgt der Künstlerverein auch das Konzept der „kulturellen Teilhabe für Alle“: Unsere Veranstaltungen kosten keinen Eintritt. Stattdessen gibt es eine Spendenbox, in die die Besuchenden hineingeben, was ihnen möglich ist. So entscheidet hier nicht das Portemonnaie, wer an Kultur teilnehmen kann.

Bei den Ausstellungen bieten wir außerdem Führungen an, arbeiten mit Schulklassen zusammen und machen Kooperationsprojekte mit anderen Kulturträgern. Wir fördern den kreativen und kulturellen Austausch sowohl zwischen Künstlerinnen und Künstlern als auch zwischen den Kulturschaffenden und der Bevölkerung.

Es ist ein wichtiger Schritt gewesen, neben der Mitgliedschaft im Kulturfonds, nun endlich auch in die Reihen der KulturRegion aufgenommen zu werden. Nach anfänglichem Zögern und klärenden Gesprächen ist die Landeshauptstadt Wiesbaden davon überzeugt, dass die weitere Vernetzung in und mit der Region am besten über ein Miteinander in beiden Organisationen gelingen kann. Wiesbaden hat eine so vielfältige und wunderbare Kulturlandschaft, was vielerorts auch bereits bekannt ist – aber es geht immer noch ein bisschen mehr.

Die Publikationen der KulturRegion sind ansprechend und wirklich gut gemacht. Gut, dass sie jetzt bei uns im Stadtgebiet an vielen bekannten Auslagen zu finden sind. Außerdem sind wir jetzt schon gespannt auf die zahlreichen Projekte, bei denen wir und die Wiesbadener Kulturschaffenden dann mitwirken werden.

Beim Jahresthema „Wasser“ fällt mir und sicherlich vielen Wiesbadenerinnen und Wiesbadenern direkt so einiges ein – hatten wir in unserer Stadt doch gerade erst im vergangenen Jahr dieses prägende Thema für uns besetzt. Ich freue mich schon heute auf die Veranstaltungen hier bei uns z. B. im Rahmen des „Starke Stücke“-Festivals oder den „Tagen der Industriekultur“. Aber am meisten hoffe ich, dass der Austausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren für alle gewinnbringend sein wird. Dafür ist ein Netzwerk wie die KulturRegion bestens geeignet.