„LaDaDi“, das klingt wie der Anfang eines schönen Liedes. Inoffiziell steht die melodische Abkürzung für den Landkreis Darmstadt-Dieburg, der 16. Station auf unserer Reise zu Persönlichkeiten und ihren Lieblingsorten in der KulturRegion. Hier treffen wir auf der Dachterrasse seines Büros in der Kreisverwaltung in Dieburg Landrat Klaus Peter Schellhaas und seine Mitarbeiterin Marcella Lüdicke von der Abteilung für Standortförderung. Mit dem Blick über die Stadt und eine idyllische Landschaft erzählen die beiden uns von der Industriekultur, die in dem eigentlich sehr ländlich geprägten Kreis eine besondere Rolle spielt und zu der ihr gemeinsames Herzensprojekt gehört: die KUNSTSTOFFSTRASSE. Ihre Stationen sind auch zentraler Teil des kürzlich veröffentlichten „Lokalen Routenführers zur Industriekultur im Landkreis Darmstadt-Dieburg“. Zu einem dieser besonderen Orte, dem Museum in Ober-Ramstadt, nimmt uns Frau Lüdicke mit. Hier sind wir mit Dr. Matthias Rohde verabredet, der uns erzählt, was ihn in seinem ehrenamtlichen Engagement als Museumsleiter motiviert.
Liebe Frau Lüdicke, was macht die Industriekultur im Landkreis Darmstadt-Dieburg so sehens- und erlebenswert?
Die Industriegeschichte hat die Natur- und Kulturlandschaft des heutigen Landkreises stark geprägt. Da sind beispielsweise die einstigen Abbau-Orte von Erz, Hartgestein und Ölschiefer, zu denen auch die heutige UNESCO-Weltnaturerbe-Stätte Grube Messel gehört. Oder etwa die zahlreichen Mühlen entlang der Gersprenz und der Modau, die zu den frühesten Industrieunternehmen im heutigen Landkreis zählen – das kann man beispielsweise auf den Themenwegen in Ober-Ramstadt und Mühltal erkunden. Und was viele sicherlich noch nicht wussten: Der erste offizielle Flugplatz und die erste Flugzeugfabrik in Deutschland entstanden einst in unserem heutigen Landkreis!
Ich persönlich bin ein großer Fan der roten Backstein-Mauerwerke, ein so typisches Merkmal europäischer Industrie-Architektur. Das findet sich in vielen Bahnhöfen, aber auch ehemaligen Industrie-Ensembles, wie der Wacker-Fabrik in Mühltal oder der ehemaligen Brauerei Michelsbräu in Babenhausen. Das sind im Übrigen auch tolle Beispiele, wie solche alten Gebäude eine neue Nutzung und Aufwertung erfahren können. Was mich besonders freut ist, dass wir nun über 70 solcher Orte und Objekte in einem „Lokalen Routenführer“ zusammengefasst haben. Damit ist der Landkreis in die „Route der Industriekultur Rhein-Main“ integriert. Die Broschüre, die kostenfrei in den Landratsämtern in Darmstadt und Dieburg erhältlich ist, ist das Ergebnis eines wunderbaren Gemeinschaftsprojekts, an dem sich zahlreiche Kommunen, Museen, Vereine, Unternehmen und viele andere Akteure beteiligten.
Lieber Herr Landrat, die KUNSTSTOFFSTRASSE ist ein besonderes Projekt im Landkreis und nimmt auch in dem neuen „Lokalen Routenführer“ eine zentrale Rolle ein. Was hat zu der Gründung der KUNSTSTOFFSTRASSE geführt?
Allein die geografische Beschaffenheit des Kreises mit seinen 23 Kommunen und der Stadt Darmstadt in der Mitte stellt eine Besonderheit dar. Als Landkreis sind wir deshalb auch immer wieder auf der Suche nach unserer Identität. Ausgehend von der Frage, ob es einen Nukleus in unserer Wirtschafts- und Industriegeschichte gibt, stellte sich heraus, dass es die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelnde Kunststoffindustrie war, die bis heute für den Standort von großer Bedeutung ist. Ein Beispiel dafür ist die Firma G.F. Heim Söhne in Ober-Ramstadt die einst die größte Schildpatt verarbeitende Fabrik in Europa war und heute hochqualitative Gebrauchsgegenstände aus Kunstsoff herstellt. Seit Jahren begleiten uns viele engagierte und kreative Menschen bei der Entwicklung der KUNSTSTOFFSTRASSE. Für viele Menschen im Landkreis ist sie deshalb auch zu einem Teil ihrer Identität geworden, andere wiederum kennen sie noch nicht und sind überrascht, wenn ich davon erzähle. Aber all diese Menschen und Ideen zusammenzuführen, ist ein großartiges Unterfangen, das eine starke integrative Wirkung nach innen hat. Zugleich strahlt die KUNSTSTOFFSTRASSE dank der Einbindung in die KulturRegion weit über die Grenzen des Landkreises hinaus und das ist etwas sehr Schönes.
Frau Lüdicke, als Projektmanagerin der KUNSTSTOFFSTRASSE koordinieren Sie ein Netzwerk von Unternehmen, Museen und Vereinen. Erzählen Sie uns davon?
Die KUNSTSTOFFSTRASSE ist ein spannendes und lebendiges Projekt. Wir können hier dank der Zusammenarbeit von Museen und Firmen die Geschichte vom Kammmacher-Handwerk und der Bearbeitung von Naturprodukten bis zu hochspezialisierten Kunststoff- und Recycling-Technologien heute ganz persönlich nachzeichnen. Etwa in den Museen in Babenhausen, Reinheim und ganz neu zusammengestellt in Ober-Ramstadt. Unternehmensbesichtigungen, Veranstaltungen und Sonderausstellungen gibt es wieder bei der nächsten „Woche der KUNSTSTOFFSTRASSE“ zu erleben. Die KUNSTSTOFFSTRASSE als eine industriekulturelle Route, als ein Zusammenschluss von Akteur*innen – vom Ehrenamt in Museen über Wissenschaft bis zu produzierenden Unternehmen – ist schon einzigartig, was uns auch innerhalb der KulturRegion ganz besonders macht. Gerade die Vernetzung zwischen Ehrenamtlichen, Unternehmen und Kommunen stärkt die Region als Lebens- und Wirtschaftsraum und die Identität.
Liebe Frau Lüdicke, Sie haben uns nach Ober-Ramstadt in das neu eingerichtete Museum mitgenommen, das sowohl Station der KUNSTSTOFFSTRASSE als auch Objekt im neuen Routenführer ist. Hier treffen wir auch Herrn Dr. Rohde, den ehrenamtlichen Museumsleiter. Doch zuerst, was macht diesen Ort für Sie so besonders?
Das Museum ist mit seiner neuen Dauerausstellung ein einzigartiges Spezialmuseum für ländliche Industriegeschichte. Nach über 10-jähriger Planungszeit und großen Anstrengungen wird hier nun die Industrie- und Sozialgeschichte der 1930er Jahre erzählt. Mir gefällt der emotionale und persönliche Zugang hier sehr. Am Eingang schlüpft man in die Rolle einer historischen Figur und erkundet mit ihr die Ausstellung. Das ist schon ein einmaliges Erlebnis. Ich finde es großartig, wie hier ehrenamtlich Engagierte gemeinsam mit der Stadt und dem Regionalmanagement Darmstadt-Dieburg etwas Besonderes für den Landkreis und die Region geschaffen haben. Nicht umsonst wurde das Museum gerade eben vom Land Hessen ausgezeichnet.
Lieber Herr Dr. Rohde, Sie unterrichten Geschichte an einem Gymnasium. Ehrenamtlich engagieren Sie sich seit vielen Jahren hier im Museum. Was macht für Sie das Museum zu einem Lieblingsort?
Das Museum ist ein besonderer historischer Ort im alten Stadtkern von Ober-Ramstadt. Das alte Rathaus, welches der damalige Pfarrer Johann Conrad Lichtenberg – der Vater des berühmten Naturkundlers und Philosophen Georg Christoph Lichtenberg – im Jahre 1732 anstelle eines abbruchreifen Gebäudes erbauen ließ, strahlt als eines der ältesten Gebäude der Stadt einen besonderen Charme aus. Als Museum wird es seit den 1960er Jahren durch den Verein für Heimatgeschichte e.V. genutzt. Anfangs als Heimatmuseum ausgestattet, vermittelt es heute die ländliche Industriekultur in und um Ober-Ramstadt mit seinen Schwerpunkten des Fahrzeug- und Industriebaus, der Farben- und Küchenmöbelherstellung sowie seiner einzigartigen Sammlung zur Kunststoffindustrie, welche den Übergang von der Zunft der Kammmacher zur modernen Kunststoffindustrie zeigt.
Was treibt Sie in Ihrem Engagement für die Industriegeschichte und das Museum in Ober-Ramstadt an?
Die Entwicklung Ober-Ramstadts im 19. und 20. Jahrhundert von einem Bauerndorf zu einer industrialisierten Kleinstadt mit einer Vielzahl spannender Unternehmen spiegelt sich seit Jahrzehnten in den Dauer- und Sonderausstellungen des Museums wieder. Mein Vorgänger Otto Weber hat mit großem Engagement und Wissen zusammen mit vielen Mitarbeiter*innen eine beeindruckende Sammlung an faszinierenden Objekten zur Stadtgeschichte zusammengetragen. Ich möchte diese Arbeit und diese Sammlung bewahren und fortführen, gleichzeitig aber für die heutigen Besucher*innen in einer modernen Präsentation erlebbar machen. Das Museum soll wieder ein lebendiger Ort der Kulturvermittlung werden, an dem Menschen die vielfältigen Aspekte ihrer Heimat nahegebracht werden.
Lieber Herr Landrat, welche Bedeutung hat für Sie die Mitgliedschaft des Landkreises in der KulturRegion?
Wir wissen, dass wir hier mit der KUNSTSTOFFSTRASSE und mit unserem Beitrag zur „Route der Industriekultur Rhein-Main“ etwas Besonderes haben. Das sehen wir mit wachsendem Selbstbewusstsein und trotzdem fühlen wir uns als Mitglied der KulturRegion als Teil von etwas Großem. Und ja, ich finde, da gehören wir auch hin! Seit einigen Jahren wächst hier das Bewusstsein, dass wir Teil einer Metropolregion sind, die sich über die Grenzen von Bundesländern hinweg erstreckt. Viele Menschen aus unserem Landkreis beispielsweise arbeiten in der Rhein-Main-Region oder gehen dort zur Schule und andersrum. Diese Bewegungen geschehen über Verwaltungsgrenzen hinweg und zeigen, dass sich die Menschen heute räumlich viel näher sind, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Unsere Mitgliedschaft bei der KulturRegion hilft dabei sehr, diese räumliche Nähe zu stärken. Projekte wie der „Lokale Routenführer“, die im Zusammenwirken Vieler umgesetzt werden und darüber hinaus einen neuen Blick auf unseren Landkreis und die Region ermöglichen, sind deshalb auch wertvolle verbindende Elemente.
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