Eine bemerkenswerte Odenwälder Geschichte, die sich von so vielen unterscheidet – und jetzt in einer Sonderausstellung im Stadtmuseum anhand von Originaldokumenten, Fotos und Schautafeln neu erzählt wird. Nazidiktatur, Weltkrieg und Judenverfolgung: Mitte November 1941 stand der jüdische Kaufmann Ferdinand Strauß vor der Tür der Bauernfamilie List und bat um Unterschlupf. Für Marie List kam nicht in Frage, den Verfolgten abzuweisen. Was dies bedeutete, war den gläubigen Christen bewusst. Etwas mehr als drei Monate lang hatte das Ehepaar List den jungen Mann aus Michelstadt in ihrem Haus in Ernsbach vor den Nazi-Schergen verstecken können. Für diese mutige Tat musste Heinrich List sein Leben lassen. Ein Streit mit dem polnischen Landarbeiter führte dazu, dass dieser einem benachbarten Bauern von dem Fremden auf dem Hof erzählte. Bald darauf wusste es auch der Bürgermeister der kleinen Gemeinde und die Gendarmerie. Im März 1942 wurde eine Untersuchung eingeleitet. „Weil wir uns seit Kindheit gut kennen (...) packte mich das Mitleid”, gestand Heinrich List und wurde verhaftet. Er verstarb am 5. Oktober 1942 im KZ Dachau an den Folgen einer Phlegmone, wie es im Bericht des Lagerkommandanten hieß. Ferdinand Strauß konnte über die Schweiz in die Vereinigten Staaten fliehen.
Es ist den Verdiensten der damaligen Gymnasiallehrer Werner König und Hans Winter (beide Michelstadt) zu verdanken, dass die Umstände und Details zu dieser außergewöhnlich mutigen Bereitschaft einer Bauernfamilie, sich selbst in Gefahr zu bringen, aufgearbeitet und der Nachwelt überliefert werden konnte. Im Rahmen eines Schulprojekts mit Schülerinnen und Schülern des Michelstädter Gymnasiums gingen sie auf Spurensuche der nationalsozialistischen Vergangenheit in ihrer Heimatregion. Dieses bisher regional wenig beachtete Kapitel lokaler Geschichte ist Thema einer Sonderausstellung, die unter dem Titel „Mut aus Menschlichkeit – Die stille Rettung des Kaufmanns S.“ im Stadtmuseum Michelstadt gezeigt wird.
Die Ausstellung über den stillen, aber entschlossenen Widerstand der Familie List wurde von Dirk Daniel Zucht konzipiert. Sie basiert im Wesentlichen auf den umfangreichen Recherchen der beiden Pädagogen, die mit ihrer engagierten Aufarbeitung dazu beigetragen haben, die Erinnerung an das Ehepaar List ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Es folgte eine sehr beachtenswerte Auszeichnung: Das Ehepaar List wurde am 23. Dezember 1992 mit dem Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet – eine seltene und hochrangige Ehrung durch die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Diese Würdigung veranlasste den Theaterproduzenten Zucht im Jahr 2020 zur Theaterproduktion „Der Gerechte“, die das Schicksal des Ehepaars List auf eindrucksvolle Weise inszenierte und bundesweit Beachtung fand. Die Sonderausstellung führt diesen Erinnerungsprozess fort und bietet vertiefte Einblicke in die Zeitumstände ihres Handelns. Dirk Daniel Zucht betont: „Diese Ausstellung ist nicht nur eine Hommage an die Familie List, sondern auch ein starkes Zeichen für Zivilcourage und Menschlichkeit – damals wie heute.“
Die Öffnungszeiten des Stadtmuseums sind Dienstag bis Sonntag, jeweils von 11 bis 17 Uhr. Es gelten die regulären Eintrittspreise. Im Rahmen der Ausstellung werden zudem Sonderführungen und Vorträge angeboten, die weitere Perspektiven auf das Thema ermöglichen. Die Termine werden rechtzeitig auf der städtischen Website veröffentlicht.
12.06.2025, 11:00 Uhr — 22.06.2025, 17:00 Uhr in Michelstadt
Öffnungszeiten:
Montag Ruhetag, Dienstag bis Sonntag jeweils von 11 bis 17 Uhr
Veranstaltungstyp: Ausstellung
Veranstaltungsformat: Kulturelles Bildungsangebot
Kostenpflichtig
3,50 €, erm. 2 €, auch für Gruppen ab 10 Pers. pro Pers. 2 € und bis 18 Jahre kostenfrei
Anmeldung ist nicht erforderlich.
Einhardspforte 3
64720 Michelstadt
Haltestelle: Bahnhof Michelstadt
Stadtmuseum Michelstadt
Telefon: 06061-74620
E-Mail: kulturamt@michelstadt.de
Website: https://www.michelstadt.de
© 2025 KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH