Lokaler Routenführer Friedrichsdorf

Den Schatz an lebendigen Zeugnissen des produzierenden Gewerbes samt dazugehöriger Infrastruktur zu bergen, wieder ins Bewusstsein zu bringen und zugänglich zu machen, ist Ziel der Route der Industriekultur Rhein-Main. Sie führt zu wichtigen industriekulturellen Orten im gesamten Rhein-Main-Gebiet und befasst sich mit Themen wirtschaftlicher, sozialer, technischer, architektonischer und städtebaulicher Entwicklung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Texte: Dr. Erika Dittrich, Heike Havenstein

Letzte Redaktion: Stadt Friedrichsdorf / Heike Havenstein

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Industriegeschichte in Friedrichsdorf

Schon früh ließen sich Menschen am Fuße des schützen-den Taunus nieder. Das im Jahr 767 erstmals urkundlich erwähnte Seulberg zählt sogar zu den ältesten Siedlungen. Lebten die Einwohner dort vornehmlich von der Landwirtschaft, nutzten (Burg)Holzhausen und Köppern die Kräfte des Erlenbachs, um eine Reihe von Mühlen anzutreiben. Nicht nur Getreide mahlten diese, sondern stellten ebenso Öle und Papier her. Später dienten die Mühlen als Produktions-stätten, bis andere Energien die Wasserkraft ablösten. Auf Einladung des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Homburg (1633–1708) siedelten sich französische Glaubensflüchtlinge an und gründeten ein neues Dorf. Unter den Hugenotten befanden sich viele tüchtige Handwerker, die das „nouveau village“ schnell erblühen ließen. Ihrem wirtschaftlichen Erfolg verdankten die Friedrichsdorfer schließlich 1771 die Verleihung der Stadtrechte. Vor allem brachten die Hugenotten bislang in der Landgrafschaft unbekannte Handwerkskünste mit. Eine davon war das Wirken von Strümpfen mit einem mechanischen Wirkstuhl. Das Weben von Leinen, Beiderwand und später Flanell vergaben sie dann in die Nachbardörfer, lieferten Rohmaterialien, um später die fertigen Stoffe abzuholen (Verlagswesen). Begehrt war diese feine Ware im In- und Ausland nicht zuletzt auch wegen ihrer leuchtenden Farben. Bunt und lichtecht färbten die Friedrichsdorfer die Stoffe in kleinen Färbhäuschen. Die nötigen Rohstoffe kamen aus aller Welt, wie Indigo aus Indien oder Blauholz und Orleans aus Südamerika. Zudem gerbte man in größerem Stil Leder. Als die chemischen Farben aufkamen, konnten die teuren Waren nicht mehr abgesetzt werden, andere Erwerbsquellen waren nun gefragt. Eine davon war die Produktion von Hüten, darunter der berühmte Homburger. Weltbekannt wurde Friedrichsdorf durch seinen Zwieback. Um 1900 existierten ein gutes Dutzend Zwiebackfabriken nebeneinander in der damaligen Hauptstraße. Deren Schornsteine prägten nicht nur die Silhouette, sondern legten einen süßen Duft über die Stadt. Heute indes produziert keine Zwiebackfabrik mehr in Friedrichsdorf. Aus einer solchen Bäckerei erwuchs ebenfalls das bekannte Unternehmen für Kindernahrung, die Firma Milupa, die inzwischen ihre Produktion jedoch ins Ausland verlagerte. In der wirtschaftlichen Blütezeit der Stadt machte 1860 ein Friedrichsdorfer eine geniale Erfindung: Das Telefon. Zahlreiche Denkmäler verweisen auf den Tüftler Philipp Reis, einen Lehrer am „Institut Garnier“. An die innovative Erfindung anknüpfend, haben sich heute eine Reihe von Unternehmen des High-Tech-Sektors angesiedelt.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Fabrikanten-Villa Lavoyer

Die Fabrikanten-Villa in der Bahnstraße 21 wurde 1897 nach Plänen des Homburger Architekten P.A. Struth erbaut. Geradezu klassisch nimmt das Gebäude typische Merkmale der Bauepoche des Historismus auf: Beigen und roten Backstein im Wechsel, Sandstein-Fensterleibungen im Stil der Neo-Renaissance sowie Dach- und Giebelgestaltung in Anlehnung an Bauformen des Mittelalters. Rustizierte Lisenen gliedern die Fassade in drei Achsen, wobei die reicher verzierte und damit hervorgehobene mittlere in einen reich geschmückten filigranen Giebelaufsatz mündet. Dieser Villa gleicht die des Leiters des Jungeninternats Institut Garnier, Dr. Ludwig Proeschold, in der Saalburgstraße.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Fabrikanten-Villa Rousselet/ Arrabin

Den Auftrag, eine repräsentative Villa zu erbauen, erteilte die Witwe des Zwiebackfabrikanten Louis Achard, Elise geb. Rousselet, dem Architekten Heinrich Foeller 1906. Auch hier prägt wieder der Historismus die architektonische Formensprache, während Verzierungen der Fenster und Balkone im Dekor des Jugend- stils schwingen. Gekonnt greift der Architekt die Ecksituation des Grundstücks auf, betont diese sogar noch durch ein polygonal gebrochenes Türmchen mit Kegeldach. Bewegt wirken durch Vor- und Rücksprünge auch die sich an- schließenden Fassaden mit Erker und Balkonen. Giebel und Gauben beleben die Dachlandschaft des fast schon schloss- artig wirkenden Hauses. Seitlich der Villa steht noch die ehemalige Remise, die einst zudem die Waschküche aufnahm.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Bahnhof Friedrichsdorf

Mit der Errichtung des Empfangsgebäudes des Friedrichsdorfer Bahnhofs begann man 1894, der wirtschaftlichen Blüte der Stadt Rechnung tragend. Das Grundstück dafür hatte man der Gemeinde Seulberg abgekauft. Entsprechend der Zeit des Historismus bediente man sich an Bauformen der Romanik ebenso wie der Renaissance. Ein kräftiges Gesims gliedert den Bau in Geschosse, eine Eckquaderung akzentuiert die Kanten und in der Rahmung der Rund-bogen-Fenster sitzen markante Keilsteine, während die Sohlbank sich als Gesims fortsetzt. Bereits 1873 hatte die Handelskammer in Wiesbaden den Eisenbahn-Anschluss unterstützt, „dass sich in Friedrichsdorf nach Herstellung einer Eisenbahn die Industrie-Etablissements noch weit mehr entwickeln würden“. Entsprechend repräsentativ sollte dann auch das Bahnhofsgebäude wirken.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Philipp-Reis-Haus

In diesem Anwesen entstand eine revolutionäre Erfindung: 1860 konstruierte der Lehrer Philipp Reis (1834-1874) hier das erste Telefon. Ein Holzohr als Sender sowie eine Stricknadel als Empfänger, eine Batterie, verbindende Drähte - viel mehr brauchte der Tüftler nicht, um die menschliche Sprache auf elektrischem Wege zu übertragen. Sogar das in alle Welt-sprachen eingegangene Wort Telephon stammt von ihm. Das vor 1790 erbaute Fachwerkhaus, in dem der Physiklehrer von 1858 bis zu seinem frühen Tod 1874 lebte, beherbergt heute ein Museum zu Leben und Wirken des Telefonerfinders. Historische Fernsprecher lassen die Abfolge der Entwicklung bis heute nachvollziehen. Die Dauerausstellung im Obergeschoss zeigt Exponate zur Wirtschaftsgeschichte mit dem Schwerpunkt Färberei. Färberpflanzen wachsen im Museumsgarten mit einer Skulptur des Telefons, der „Würfelform“ von 1863. Diese fertigte Eberhard Müller-Fries zum 175. Geburtstag des genialen Erfinders.

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Philipp-Reis-Denkmal "Sinuswelle"

Fünfzehn Metallstelen unterschiedlicher Höhe formen eine Sinuskurve und nehmen damit Bezug auf den physikalischen Vorgang der Tonüber-tragung durch elektrischen Strom. Das Kunstwerk im rückwärtigen Hofbereich des Philipp-Reis-Hauses wurde 1991 nach einem Entwurf des Karlsruher Bildhauers Thomas Biedermann geschaffen und von der Friedrichsdorfer Firma Arnold ausgeführt. Die Plastik steht genau an der Stelle, an der einst Reis in seiner Werkstatt die revolutionäre Erfindung gelang.

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Färb-Häuschen

Als winzige Vorgänger der großen Chemie-Farben-Fabriken der Rhein- Main-Region (Hoechst, Cassella, Kalle) erscheinen die für das historische Stadtbild Friedrichsdorfs typischen Färbhäuschen. Im einst blühenden häuslichen Textilgewerbe dienten die eingeschossigen Gebäude mit ihren gemauerten Farbkesseln im Inneren der Färbung der hier produzierten Stoffe. Von den gut 45 Färbhäuschen entlang der Hugenottenstraße sind heute noch einige erhalten, die unterschiedlichen Nutzungen wie Gastronomie oder Geschäften dienen.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Villa Haller

Der Nudelfabrikant Theodor Haller (1869-1922) ließ sich 1905 durch den Architekten Heinrich Foeller (1861-1935) eine imposante Villa in Nähe seiner Fabrik errichten. Trotz des verschachtelt wirkenden Landhausstils bleibt der Grundriss klar strukturiert. Eine prunkvolle Treppenanlage erschließt die zweieinhalb Geschosse. Auf Gäste und größere Empfänge eingestellt, liegen die Repräsentationsräume mit Herrenzimmer, Salon und Speisezimmer in der unteren Etage. Oben indes befanden sich Privatgemächer; mit Badezimmer (sogar mit WC!), Zentralheizung und Balkon war man ganz auf der Höhe der Zeit. Traditionell wurde das Dienstpersonal unter dem als Kniestock ausgebildeten Dach untergebracht. Damit spiegelt die Villa Haller, heute Sitz des Tempel-präsidenten der Mormonen, exemplarisch den Lebensstil einer Fabrikantenfamilie um die Jahrhundertwende.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Kontor der Firma Haller

Nachdem 1891 der Schwabe Theodor Haller die bis dahin wenig ertragreiche Nudel-fabrik des Herrn Garnier übernommen hatte, baute er diese zu einem Großunternehmen auf: Um 1900umfasste es rund 9.000 Quadratmeter; 1916 waren 130 Arbeiter, 30 Beamte und 150 Vertreter beschäftigt. Zum Erfolg führte vor allem die moderne Werbung mit markanten Slogans, wie: „Hallernudeln gehen prächtig auf“. Dort, wo einst das Unternehmen seinen Anfang genommen hatte, ließ sein Sohn und Nachfolger das Kontor bauen. Es ist ein typischer Bau der 1930er Jahre, streng nach geometrischen Formen konzipiert, Sockel und Dach den Barockbauten angepasst. Das Innere erhellen große rechteckige Fensterfronten, eingefasst von Gesimsen. Hinter dem Kontor erstreckte sich das großzügige Fabrikgebäude.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Chemische Fabrik Rühl AG

Gegründet wurde die Chemie- Firma Rühl 1947 zunächst in den Räumen des ehemali-gen Gasthofs „Zum weißen Turm“ in der Hugenotten-straße. Mit der Vergrößerung zogen Verwaltung und Produktion um 1970 in andere Fabrikgebäude. Zur Cheshamer Straße hin erhebt sich ein 25 Meter hoher Schornstein – einer der letzten in Friedrichsdorf, einst „Stadt der 100 Schlote“ genannt. Die Rühl AG stellt erfolgreich Produkte im Sektor Reinigung und Desinfektion, Produkte im Sektor Feuerlöschmittel sowie Produkte gefertigt aus Polyurethan (PUR) und glasfaserverstärkten Kunststoffen her.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Philipp-Reis-Denkmal „Kommunikation“

Das aus Edelstahl gefertigte Denkmal wurde anlässlich des 165. Geburtstags von Philipp Reis, dem Erfinder des Telefons, installiert. Das Kunst- werk visualisiert das Thema „Kommunikation“, wobei sich geometrische, wie Teile eines Telefons wirkende Formen, zu einer abstrahierten menschlichen Figur verbinden. Getragen wird die Doppelstele von einem podestförmigen Unterbau, auf dessen Vorderseite zehn erhabene Quadrate in ihrer Anordnung an die Tasten eines Telefons erinnern. Zugleich assoziiert man im Aufbau zwei im Gespräch vertiefte Personen. Der Autodidakt Hans Helmut Rupp entwarf im Auftrag der Taunus Sparkasse 1999 die 2,22 Meter hohe Plastik.

Foto: Wikimedia/Karsten Ratzke

Arnold AG Metallbau

Gegründet wurde die Firma 1924 in Frankfurt/Main, hat heute aber ihren Sitz in Friedrichsdorf. Seit mehr als 80 Jahren ist man in der Metallverarbeitung tätig, zunächst im handwerklichen, später auch im industriellen Rahmen. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen mit einem Zweigwerk in Thüringen rund 300 Personen. Die weitgespannte Produktionspalette schließt auch die Realisierung von Kunstwerken aus Metall ein. Die Industrie-Architektur des Verwaltungs- und Produktionsgebäudes in Friedrichsdorf steht mit ihren kubischen Formen und den durchlaufenden, farbig abgesetzten Fensterbändern in der Bautradition der klassischen Moderne.

Foto: Stadt Friedrichsdorf

Taunus-Quarzit-Werk

Das 1899 gegründete Taunus-Quarzit-Werk ist heute mit einer Abbaufläche von rund zwanzig Hektar der größte Quarzit-Steinbruch Europas. Der in sieben Terrassen angelegte Tagebauerreicht eine Gesamthöhe von 135 Metern. Rund 4.000 Tonnen Quarzit werden hier täglich gefördert, zerkleinert und gesiebt, um im Straßenbau, der chemischen Industrie oder zur Auskleidung von Hochöfen verwendet zu werden. Bis zum Ersten Weltkrieg lieferte man noch ausschließlich Schotter für die Badisch-Württembergische Eisen-bahn. Beinahe wäre der Abbau zum Erliegen gekommen, hätte man nicht einen eigenen Anschluss zum Bahnhof Saalburg in Nähe des damaligen Schotterwerks erhalten.

Foto: KulturRegion FrankfurtRheinMain

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